…eine Spezialität von mir in meiner Arbeit ist das Geschichtenschreiben. In schwierigen Situationen schreibe ich für die Kinder eine Geschichte, in der sie sich wieder finden können. Die vorliegende Geschichte ist in einer Klasse entstanden und gibt wieder, wie einfühlsam Kinder in Konflikten sein können. Die Geschichte wurde dann in der Klasse vorgelesen und die Kinder konnten dazu malen. So sind die Bilder entstanden.

 

Wer oder was ist das Kinki?

Das Kinki hat die Eigenschaft, Kinder gut zu verstehen und mit ihnen mitzufühlen. Manchmal geht es auch mit den Kindern nach Hause. Susanne hatte das Kinki letztlich gebeten mitzukommen. Sie konnte bei Tisch nicht trinken. Entweder rutschte ihr die Flasche oder das Glas aus der Hand, oder sie verschüttete den Saft beim Trinken, oder sie stieß es um. Die Mutter und der Vater hatten keine Nerven mehr, ständig neue Tischdecken oder neue Klamotten zu holen und die verdreckten zu waschen. Es herrschte so eine angespannte Stimmung, bei der sowieso alle Gläser und Flaschen Beine bekommen. Das Kinki saß bei Susanne am Tisch. Susanne hatte sich einen Plastikaufkleber mit einem lachenden Gesicht besorgt und dieses Gesicht auf die Küchenbank geklebt. Ihren Eltern erklärte Susanne, daß ab sofort nicht mehr sie die Gläser umwirft, sondern das Kinki und daß die Eltern gefälligst dann mit dem Kinki schimpfen müßten. Die Eltern verstanden. Sie schimpften nicht mehr mit Susanne, sondern mit dem Kinki, Susanne konnte sich entspannen, und alle konnten lachen über die Tolpatschigkeit des Kinkis. Nach einer Woche konnte das Kinki die Susanne wieder alleine lassen.

 

Ärger in der Klasse

In der 3. Klasse der Grundschule gibt es seit der 1. Klasse immer wieder Ärger mit Peter. Seit Beginn des neuen Schuljahres ist es besonders schlimm. Nach der Pause kommt Peter oft in die Klasse und wirft sich auf den Boden. Er mag dann nicht mehr aufstehen. Wenn Kinder sich ihm nähern, um mit ihm zu sprechen oder ihm freundlich auf den Arm zu klopfen, denkt er fast immer, es sei böse gemeint und schlägt sofort um sich. Die anderen Kinder sind sehr verärgert. Mindestens einmal am Tag wirft er einem anderen Schüler das Mäppchen runter oder leert einen Ranzen aus. Oft beginnt eine Schulstunde mit Klagen und Beschwerden über Peter. Der Lehrer ist genervt, die Eltern wissen nicht mehr weiter, die Mitschüler machen einen großen Bogen um Peter. Alle scheinen Peter aufgegeben zu haben. Doch Peter hat auch viele liebe Seiten, er spielt gut Fußball, er hat viele gute Ideen, was man spielen kann und er sieht nett aus. Also treffen sich Peter, Michaela, Gabriel und Angi am Nachmittag auf dem Spielplatz. Es ist ein ganz besonderer Spielplatz, da hier das Kinki wohnt.

Sie hatten heute morgen sehr viel Ärger in der Klasse mit Peter und sie wollen in aller Ruhe darüber reden und noch miteinander spielen.

Peter wollte zuerst gar nicht kommen, aber zu Gabriel und Angi hat er großes Vertrauen.

„Peter wir möchten Dir so viel sagen, möchtest Du es hören?“, fragt Gabriel. „Du darfst aber erst antworten, wenn wir alle was gesagt haben. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe nur zuzuhören. Meinst Du, Du schaffst das?“

Peter ist allerdings nicht allein. Das Kinki ist wieder da, es hat die Not von Peter gespürt. Das Kinki setzt sich auf den Rand des Sandkastens und Peter sitzt vor dem Kinki. Das Kinki darf Peter anfassen und streicheln und ihn beruhigen.

Peter ist bereit. Die Kinder erzählen sehr genau verschiedene Situationen auf dem Schulhof und was sie sich von Peter wünschen. Dabei sprechen sie ihn direkt an.

Das Kinki streichelt seine Arme, es merkt, wie Peter aufstehen will, wie er Widerworte geben will, daß er am liebsten zu Michaela sagen möchte: Du dumme Kuh, so war es gar nicht, ihr seid alle blöd. Ich will nichts mehr hören, hört auf ihr Deppen. Er zuckt und setzt ab und zu mal zum Reden an. Das Kinki und Peter können sich aber ohne Reden verständigen. Während das Kinki Peters Arme streichelt und ihn beruhigt denkt es: „Peter, die Kinder, die mit Dir reden, mögen Dich noch. Sie haben Interesse mit Dir zu spielen.“ Peter wird merklich ruhiger und hört zu.

Zuerst noch böse und dann immer offener.

Und auch die Kinder sagen nicht nur Dinge, die sie stören, sie fangen auch an, sich in Peter hineinzuversetzen. Sie spielen das „Was wäre, wenn ich Peter wäre?“ -Spiel.

„Wenn ich nicht so gut reden könnte, müßte ich vielleicht schlagen.“, meint Michaela.

„Wenn ich schlage, fühle ich mich immer sehr stark.“, überlegt Gabriel.

„Vielleicht hat Peter schon viele Schläge bekommen.“, meint Angi.

„Peter muß sich ganz schön einsam fühlen, immer wenn er schlägt, hat er keine Freunde mehr, wenn er keine Freunde hat, ist er noch einsamer, vielleicht findet er dann noch schlechter Freunde oder Freunde, die auch nur noch schlagen können und kommt aus diesem Teufelskreis nicht mehr raus.“, überlegt Anne.

„Stimmt doch alles nicht“, unterbricht Peter ganz ruhig und erzählt seine Lebensgeschichte.

„Seit 2 Jahren wohne ich bei meinem Vater, nachdem meine Mutter weggegangen ist. Seit der Zeit denke ich, sie ist wegen mir weggegangen, weil ich so schrecklich bin. Es ist meine Schuld. Wenn ich nur lieb gewesen wäre, wäre meine Mutter bei uns geblieben.

Mein Vater ist selbständig, er betreibt ein Elektrowarengeschäft in Drachenfurt zusammen mit meiner Stiefmutter. Ich merke schon, er sorgt sich um mich, aber er hat zu viel zu arbeiten und zu wenig Zeit für mich. Ich denke oft an meine Mutter und wie sie mich geschlagen hat, wie sie mir Geschenke versprochen hat, auf die ich noch heute warte. Mir wird ganz schlecht und ich will nicht, daß mir schlecht wird, lieber wütend werden. Und dann reicht nur ein harmloses Wort oder jemand kommt mir zu nahe, und schon raste ich aus. Dann schlage ich und boxe und werde unausstehlich.“

„Peter, ich kann mit Dir, wenn wir alleine sind, prima reden und Fußball spielen, und wenn wir Streit haben, dann schlägst Du mich nicht. Ich bin sehr stolz auf Dich!“, sagt das Kinki, „Wieso kannst Du nicht genauso zu den Kindern sein, wie zu mir?“

„Weil ich ganz oft denke: Niemand mag mich, meine Mutter nicht, die ist weggegangen, mein Vater nicht, der hat keine Zeit, die Lehrerin nicht, weil ich nicht aufpasse und die Kinder nicht, weil ich die immer ärgere!“, schreit Peter laut und wütend, dabei ist er den Tränen so nahe. Am liebsten würde er weinen.

„Weinen, nein, lieber Zähne zusammenbeißen und schlagen, danach geht es mir erst einmal besser. Ich finde keine Worte für meine Traurigkeit, für das was ich fühle. Wenn ich schlage, kann ich mich ausdrücken!“, denkt Peter.

„Wenn mich schon niemand mag, dann will ich mich auch so verhalten, daß wenigstens auch ein Grund zur Ablehnung da ist. Denn wenn ich Mist mache, wenn ich den Clown spiele, nicht zuhöre, den anderen das Mäppchen herunterwerfe, andere bedrohe und verkloppe, kann ich mir wenigstens Luft verschaffen!“

„Die anderen Kinder sind langsam ganz sauer, weil sie in der Klasse nur hören…Peter hat schon wieder…. Peter hör auf…Peter gibt endlich Ruhe….!“, stellt das Kinki fest.

„Ich will in der Klasse gar nicht schlagen und treten. Ich fühle mich in der Klasse so wohl. Und ich schaffe es nicht. Und dann bin ich so wütend über mich, daß ich nur noch böser werde“.

„Ja, Peter, Du willst nicht gleich schlagen, ich spür das ganz genau.“

Peter freut sich, daß das Kinki und die anderen Kinder so genau über ihn Bescheid wissen.

„Peter, weißt Du was ich an Dir mag, Deine Sommersprossen!“, sagt Angi.

„Und ich mag, daß Du so lustige Augen hast und gute Ideen, was wir im Schulhof spielen können!“, sagt Michaela.

„Mir ist jetzt schon viel leichter, ich fühle mich richtig wohl bei Euch. Laßt uns spielen. Was haltet ihr davon, daß wir Blätter auf einen Haufen sammeln und uns damit dann bewerfen,“ schlägt Peter vor.

„Au ja!“, rufen Angi, Gabriel und Michaela, „Laßt uns miteinander Herbst spielen. Das ist toll.“

Siehst Du das Kinki dort hinten auf dem Klettergerüst? Es schaut lustig den spielenden Kindern zu und ist sehr zufrieden.


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